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Rezension: “Tender Bar” von JR Moehringer

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Frauke schreibt über “Tender Bar”

Der Zufall will‘s, dass Autor und Protagonist des Buches „Tender Bar“, JR Moehringer, in etwa mein Jahrgang ist und, wie ich, viel Prägendes in den 80er Jahren erlebt hat. Er nennt seinen Roman an anderer Stelle auch „Memoir“. Und so ist davon auszugehen, dass es sich, wenn auch fiktionalisiert, um seine eigene Geschichte handelt.

Eigene Geschichten gut erzählt sind immer einprägsame Leseerlebnisse und das ist Tender Bar auch. Neben dem Autobiographischen steht vor allem eine Bar (nicht zufällig hieß sie zunächst „Dickens Bar“) im Mittelpunkt. Hier findet JR das, was er in seinem unmittelbaren familiären Umfeld nicht findet, aber dringend fürs Erwachsenwerden benötigt: männliche Vorbilder. Und es sind wirklich tolle Typen, die der Leser zusammen mit JR in der Kneipe trifft und kennenlernt. Alle Ups und Downs seines Lebens werden dort verhandelt und kommentiert.

Und das Leben eines Jungen bis zum 25. Lebensjahr ist mit vielen Ups und Downs versehen. Vor allem, wenn er sich in Umfeldern bewegt, die nicht – in England würde man sagen – seiner „Klasse“ entsprechen. Aber es ist der Traum seiner Mutter (der wahren Heldin des Buches, wie JR am Schluss endlich versteht!), dass ihr Sohn studiert. Klar, um es einmal besser zu haben als sie. Sie selbst kämpft täglich mit existentiellen finanziellen Sorgen, trennt sich von ihrem geliebten Sohn und nimmt viele Härten auf sich, um ihm Gutes zu ermöglichen. Gemeinsam erreichen sie das Ziel. JR bekommt ein Stipendium für Yale.

Zwei Buchhändler als Bildungsvermittler

Die fehlende literarische Grundausbildung bekommt JR von zwei kauzigen, aber liebenswerten Buchhändlern, die ihn mit dem Grundkanon der Literatur versorgen. Köstlich wird geschildert wie die in angloamerikanischen Ländern übliche Titelblatt-Remission diese Grundausbildung ermöglicht. Das für unmöglich Gehaltene wird Wirklichkeit, JR erhält ein Stipendium für den Studienplatz in Yale. Die beiden Buchhändler ahnen allerdings schon was auf den momentan Überglücklichen zukommen wird: Desillusionierung.

JR hat zwar den Studienplatz ergattert, aber er hat nicht den Habitus, den all die anderen Yalies ausstrahlen. Ihm fehlt schlicht das Selbstvertrauen, das all die anderen zu haben scheinen. Typische Outsider-Situationen, die Moehringer in diesen Kapiteln sehr eindringlich schildert. Natürlich entstammt auch seine erste große Liebe dieser „Upper Class“! Hin- und hergerissen zwischen der Attraktivität seiner Andersartigkeit und ihrer Herkunft entscheidet sie sich nach vielem Hin und Her gegen JR: Ausschlaggebend war, so erfahren wir am Ende, seine „Liebe“ zu der Bar, nachdem er ihr seinen wichtigsten Zufluchtsort gezeigt hatte.

Trotz aller Rückschläge und Enttäuschungen beendet er Yale erfolgreich. Und seine große Liebe bringt ihn noch dazu seiner wahren Bestimmung zu folgen, nämlich Schriftsteller und Journalist zu werden. Er bewirbt sich bei der New York Times für ein Volontariat.

Einblicke in die New York Times

Wieder bekommt er die Chance sich in renommiertestem Umfeld die ersten Sporen zu verdienen. Die Passagen über die New York Times sind sehr erhellend in Bezug auf den digitalen Umbruch, den die Zeitungsbranche in den letzten Jahrzehnten erlebt hat. Die Aufgabe der Volontäre damals war, die auf Schreibmaschine mit 5 Durchschlägen geschriebenen Artikel im Hause zu verteilen. Computer standen zwar da, aber es benutzte sie keiner. War man als Volontär nicht damit beschäftigt, holte man Mittagessen für die Redakteure.

JR wird nicht zum Redakteur befördert, dabei hat er in seinem Probemonat fantastische Geschichten geschrieben. Aber er hat in seinem Meisterstück den Namen falsch geschrieben – so etwas darf einem New York Times Redakteur nicht passieren.

Mit dem Tod des Barbesitzers Steve, einer der vielen Vaterfiguren von JR, geht auch die Bar ihrem Ende zu. Börsenhype und -krach haben das Auf und Ab der Kneipe begleitet. Und es kommt zu einem Show Down in einer letzten Begegnung von JR mit seinem Vater. JR hat sich nach dieser Auseinandersetzung endlich selbst gefunden und geht seiner Zukunft befreit entgegen.

Der Epilog, der nach September 11th 2001 geschrieben ist, fasst die Auswirkung dieser Tragödie auf die Protagonisten im Buch zusammen und macht den autobiographischen Bezug damit nochmals überdeutlich.

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